Zum Jahreswechsel 2022⎜2023

Beste Wünsche zum Jahreswechsel 2022/23

Sehr geehrte Dame, sehr geehrter Herr,
liebe Freundin, lieber Freund,

um es gleich vorwegzunehmen: Nie zuvor war es für mich so schwer, eine Botschaft zum Jahreswechsel zu formulieren, die NICHT meine derzeitige Stimmung widerspiegelt. Noch immer hatte ich mich zu Weihnachten an geschätzte Partnerinnen, Partner, Freundinnen, Freunde und Verwandte gewendet und neben aller Kritik am jeweiligen Geschehen auch optimistische Worte gefunden oder die ganz unerfreulichen Themen in Witz und Ironie verpackt, damit man wenigstens mit einem Schmunzeln darüber hinweg sehen konnte. Aber was tun angesichts von Erderhitzung, Klimawandelfolgen, Krieg, Pandemie, Korruption, Geldentwertung, Blackout-Angst und Burn-out-Gefahr? Es gelingt mir kaum, den Menschen im empathiefreien Kasernenhofton weiterhin ein „Und-bleiben-Sie-gesund“ entgegen zu schmettern und damit zu glauben, schon alle weiteren aufmunternden Worte wären somit obsolet. Das war noch vor zwei Jahren gang und gäbe – und als Formel so einfach und unkompliziert. Man hatte damit schon alles Mögliche getan, um dem Gegenüber das Beste alles Erlaubten angedeihen zu lassen. Denn mehr war bekanntlich dank staatlicher Sanktionierung nicht möglich. Heute sind wir uns zunehmend der Schäden bewusst, die dieser Rückzug in die „Ego-Sphäre“ ausgelöst hat. Aber anstatt dem heuer mit einer Liebes- und Zuwendungsoffensive entgegenzuwirken und das Gemeinsame im Unterschiedlichen zu feiern, schauen wir tatenlos zu, wie sich selbst ernannte Meinungsführer und Geschichtsinterpreten des schlimmsten aller Mittel, des gewalttätigen Irrationalismus, bedienen und Menschen dazu anstacheln, Tod, Verachtung und Verderben über Artgenossen zu bringen. Und dann macht ein großes Wort die Runde: „Zeitenwende“.
Gerne würde ich wissen, welche Marketing-Agentur dem deutschen Bundeskanzler dieses gefährliche Wort in den Mund gelegt hat und warum dieser so unverantwortlich war, es zu verwenden. Aber seine Werbewirkung hat es bereits entfaltet und wurde flugs zum Wort des Jahres 2022 (Gesellschaft für deutsche Sprache e. V.).

Als gefährlich erachte ich diesen Begriff deshalb, weil er eigentlich zurückblickend die Ausbreitung des Christentums mit der Geburt des Gottessohnes als epochales Ereignis in der Zeitrechnung manifestiert und keinesfalls eine Handlungs- und Betrachtungsaufforderung für die unmittelbare Zukunft darstellt. Denn was soll denn diese neuerliche Zeitenwende beschreiben? Dass man politische und menschliche Fehler gemacht hat und diese nun sich zu beheben anschickt? Dass man aus der passiven Beschreibung in eine aktive handelnde Rolle wechselt, um das Böse, das Zerstörerische, das Schlechte zu beenden. In der großen Politik ist davon nichts auszumachen.

Aber auch überhaupt nichts. Eher befürchte ich, dass mit martialischer Rhetorik und dem salonfähig Machen des Gewalttätigen exakt gar keine Lösung für die im zweiten Satz dieses Textes gelisteten Problemstellungen erzielt werden kann. Viel eher wird sich die Spirale weiter in Richtung Unlösbarkeit drehen. Und das ist auch der Grund, warum ich mir so unendlich schwertue, einen positiven Ausblick auf das kommende Jahr zu haben.

Aber eine Idee hätte ich da schon, wie es gehen könnte: Lassen wir einmal das große Wort „Zeitenwende“ beiseite und nutzen schlicht den Jahreswechsel in seinem Kontext des Zeitgeschehens dazu, uns selbst zu positionieren. Was war vorher, was kommt nachher? Wo stehe ich heute, was will ich morgen sein? In vielen kleinen alltäglichen Dingen stecken diese unbequemen Fragen. Welchen Menschen bin ich bisher „gefolgt“ – welchen anderen, will ich mich widmen? Was habe ich bislang gelernt – was lerne ich morgen? Wie viel Energie wendete ich im Alltag auf – was will ich zukünftig verbrauchen? Gestern bin ich spazieren gegangen – laufe ich morgen zur Arbeit? Vorher habe ich mich gerne passiv verhalten, weil ich Veränderungen fürchtete – nachher verstehe ich in der Aktivität, dass Wandel beflügelt. Bisher habe ich Verzicht als etwas Negatives verstanden – heute erkenne ich, dass darin auch Befreiung steckt.
Leicht ist es nicht, und schon beim Aufschreiben der Voher-nachher-Gedanken muss ich mich kritisch fragen, ob ich damit meinen Adressatinnen und Adressaten gerecht werde. Eines bin ich mir aber sicher: Alle Angesprochenen sind klug genug, sich selbst die richtigen Fragen zu stellen und damit einen guten Weg zu finden. Ich bin neugierig, davon zu erfahren und versichere hiermit, die Mutigen und Handelnden zu beglückwünschen und zu bestärken. Oft sind es ja ganz kleine Dinge, die uns zu privaten Heldinnen und Helden machen. Und das tut wirklich gut!

Ich wünsche Ihnen und Euch allen Kraft und Zuversicht für das Jahr 2023. Ihr und euer Tobias Ruppert

 

p. s.: Wer sich wieder zu Weihnachten ein Nadelgehölz für kurze Zeit ins Wohnzimmer stellt, kann meine diesjährige Weihnachtskarte ganz einfach in den Baumschmuck integrieren und den Weihnachtsbaum damit zum „Reminder“ für gute Vorhaben machen. Wie immer ist die Karte eine Original-Grafik in einer Auflage von 80 Stück. Nummerierung und Signatur befinden sich auf der „vorher“-Seite unten. Geschickt gegen das Licht gedrehtsind letztere gut zu erkennen.